Dienstag, 19. April 2011

PARSIFAL


Die hohe Kunst der Darstellung des Seins


Der junge Regisseur Benedikt von Peter hat sich in Basel an das grosse Biest der deutschen Opernkunst gewagt: Wagners aufgeladene Lebensphilosophie PARSIFAL. Von Peter wusste mit LES DIALOGUES DES CARMELITES im Vorfeld mit einer dichten Version zu überzeugen. Die Vorfreude war deshalb gross und geknüpft mit der Frage, wie sich die Intellektualität und Emotionalität bei Wagner niederschlagen würden, dient PARSIFAL ja als interpretationsfreudiges Werk. Und interpretiert wird eine Menge...

Die emotionale Sinnlichkeit der Musik dient als Rückgrat der Inszenierung. Konsequenterweise verzichtet die Regie somit auf Sinnlichkeit innerhalb der optischen Präsentation. Eine fast leere Bühne ist ein gewagtes Konzept für einen mehrstündigen Abend. Dafür werden wir weggeblasen ob der darstellerischen Kraft der Sänger/Figuren. Es gibt keine Möglichkeit, nicht hinzusehen. Auf der Bühne wird gelitten, wir leiden mit und sehnen uns nach der Erlösung.

Inhaltlich ist die Handlung aus dem Gerüst der Mythologie weitgehend weggelöst. Die schon sehr aufgeladenen Symbole des Grals und des Speers werden in weiteren Lesemöglichkeiten getränkt und bleiben unfassbar. Als Zuschauer ist man gezwungen, sich mehr mit den Figuren auseinanderzusetzen. Die Frage, was die Inszenierung mit sich selbst als Zuschauer und mit dem Abbild der Menschheit zu tun hat ist allgegenwertig. Dies wird als Bild geschürt durch den Chor als Abbild der menschlichen Identität, welcher der Gralsenthüllung in Strassenkleidern beiwohnt und diesem Akt das Heilige nimmt. Somit rückt Amfortas als Wunscherlöser in den Mittelpunkt der Inszenierung. Er leidet unter dem Gral, er leidet an dem Verlust des Speeres, er leidet an der Weiblichkeit von Kundry, er leidet an der Wunde, die Klingsor ihm schlug. Und dieses Leiden wird gedoppelt mit der Figur des Erschaffers, der Figur eines gewarpten Wagners, welcher sich in die geschriebene Oper spiegelt. „Denn im Kunstwerk werden wir eins sein...“ Dieser Satz begleitet uns als Projektion durch den Abend. Und auch hier schlägt die Konsequenz von Peters zu. Die Zwillingsmetapher des gespiegelten Ichs zieht sich als Bild durch die Inszenierung. Wagners Zwilling ist Amfortas. Dessen Beziehung mit Kundry dient als Katalysator der Handlung, Parsifal als reiner Deus Ex Machina. Parsifal, der reine Tor, als Spielball einer emanzipierten Weiblichkeit und einer reflektierten Männlichkeit, kindlich gefangen durch das Wunder der Liebe und der forcierten Erlösung. Diese Erlösung kann nur im Unglück enden. Parsifal kann die Beziehung, die Motivation zwar nachvollziehen, doch für das Verständnis fehlt ihm der Blick fürs Ganze.

Dies sind nur einige Aspekte der Inszenierung, welche tiefschürfende Diskussionen zulässt und fördert. Denn der Abend ist eine Tour de Force. Nicht nur für die Darsteller, sondern auch für die Zuschauer. Wenn man sich selber aus der Gleichung raushält, bleibt das Resultat eher ernüchternd. Bringt man sich ein, mit Selbstreflexion über das Gesehene, verlässt man den Zuschauerraum geläutert. Man hat mit den Figuren einiges durchgemacht und fühlt mit. Und dieses Gefühl verfolgt noch tage-, wenn nicht wochenlang. Und genau das soll Kultur in seiner reinen Form bewirken.

Ein Hoch auf das Theater Basel für diesen mutigen, bewegenden Abend!

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